Der Schreibanfänger hört diese Aufforderung immer wieder: „Zeige, statt zu behaupten!“, „Schreibe anschaulich“ oder auf Englisch einprägsam„Show, don’t tell!“ Ein einfacher Satz, der eine wichtige Wahrheit enthält. Wahrheiten tendieren ja dazu, auf den ersten Blick eher unauffällig zu sein oder banal zu klingen. Aber Anweisung in diesem Satz ist absolut entscheidend für Autoren. Wenn man bildhafte Sprache richtig einsetzt, schreibt man überzeugender und einprägsamer — egal ob im fiktionalen Text oder im Sachtext.
Bildhafte Texte besitzen zwei Stärken:
- Bilder prägen sich dem Leser besser ein als abstrakte aussagen
- Sie bevormunden den Leser nicht. Niemand möchte eine „Predigt“ hören!
Vergleichen wir einmal die beiden Sätze:
Sie war nervös.
Ein unauffälliger Satz. Ein ziemlich abstrakter Satz. Die Aussage enthält schon eine Meinung, beziehungsweise eine Interpretation. Der Autor des Satzes behauptet, dass jemand nervös ist. Wenn ich aber schreibe:
Ihre Finger trommelten ununterbrochen auf die Resopalplatte und hinterließen ein Surren in der Luft. Der Lack auf ihren Nägeln war abgeblättert, die Nägel abgekaut. Während ihr Blick unruhig ….
Der zweite Satz erzeugt ein Bild. Es ist, als würde die Filmkamera im Kopf des Lesers angeworfen. Das ist genau der Effekt, den wir erreichen möchten! Ein Text mit bildhafter Sprache ist viel angenehmer zu lesen und hält das Interesse des Lesers wach. Der Leser kann sich selbst überlegen, ob die Frau nervös ist oder nicht. Dadurch ist der Leser aktiver und dämmert dir nicht weg. Bilder bleiben im Gehirn besser haften, was mit unserer visuellen Denkweise zusammenhängt. Deshalb nutzen auch Gedächtniskünstler zum Beispiel ungewöhnliche Visualisierungen, um sich abstrakte Inhalte wie Zahlen zu merken. Bildhaft bleiben diese abstrakten Inhalte im Gedächtnis, das Prinzip ist das gleiche!
Auch über langweilige Ereignisse kannst du fesselnd schreiben
Diese Technik gilt übrigens für fiktionale und Sachtexte gleichermaßen. Wenn ich zum Beispiel einen Bericht über einen Lesungsbesuch lese, möchte ich nicht erfahren, dass es „spannend und interessant“ war. So eine Behauptung bleibt leer. Ich möchte wissen, welche provokanten Sätze der Vortragende von sich gegeben hat. Ich möchte die Hitze des überfüllten Saals spüren, das aufgeregte Gemurmel hören, die rosigen Wangen der Damen sehen, als der berühmte Autor die Bühne betreten hat. Und auch wenn die Lesung selbst langweilig war, kann mein Bericht darüber spannend sein. Habt ihr nicht schon einmal eine Buchbesprechung gelesen, bei denen der Besprechende das Buch nicht mochte, sich sogar fürchterlich gelangweilt hat, aber dennoch eine spannenden Rezension verfasst hat? Wenn ich über eine langweilige Lesung schreibe und berichte, wie die Zuhörer von ihren Stühlen in die Horizontale rutschten, eingelullt von der monotonen Stimme des Autors — da entsteht ein Bild.
Man kann und sollte diese Art zu schreiben üben. Insbesondere kann man seine eigenen Texte daraufhin überprüfen, ob man wirklich Situationen zeigt oder nur behauptet. Niemand liest deine Texte, um eine Predigt von dir zu empfangen.
So kannst du deinen Text prüfen
Es gibt Momente, in denen man als Schreibender besonders gefährdet ist, etwas zu behaupten, statt es zu zeigen.
- Beim Erzählen der „Vorgeschichte“, die passiert ist, bevor die eigentliche Geschichte beginnt. (Insgesamt ist Vorgeschichte ein schwieriges Element von Romanen und längeren Erzählungen, aber dazu ein andermal mehr.)
- Man beschreibt, wie eine Figur aussieht
- Man beschreibt, was eine Figur denkt und empfindet
Mit dieser Mini-Checkliste kannst du überprüfen, ob eine Szene oder ein Text eher ein Bild beim Lesen erzeugt oder „predigt“.
Stell dir folgende Fragen:
- Ermöglicht der Text dem Leser zu sehen, was passiert?
- Spricht an irgendeiner Stelle der Autor behauptend?
- Könnte man die Gedanken der Personen durch Handlungen veranschaulichen?
- Könnte man die Textpassage mit einer Kamera filmen?
Dieses Prinzip ist wirklich unglaublich wichtig, um einen lebendigen, ausdrucksstarken Text zu schreiben!
Aber wie immer gibt es Ausnahmen!
Ist der Satz „sie ist nervös“ also verboten? Nein! Natürlich nicht! Es gibt Momente, in denen solltest du auf jeden Fall „nervös“ schreiben, statt eine langatmige, stimmungsvolle Szene zu entwickeln.
Beschreibungen brauchen Zeit. Für Zeitabschnitte, die nicht Teil der zentralen Handlung sind, genauso für Figuren, die nur Randfiguren sind, gilt: knapp halten. Es geht um Zeitmanagement. Indem etwas berichtet wird, können große Zeitabschnitte zusammengefasst werden oder eben auch Personen mit sehr wenigen Worten skizziert werden. Dies ist natürlich immer wieder nötig, denn der Fokus liegt ja auf dem Hauptinhalt und den Hauptfiguren.
Aber das Entscheidende: Du sollst dein Handwerkszeug beherrschen und entscheiden können, wann du etwas zeigst, wann du berichtest. Deshalb darf dies nicht dem Zufall überlassen sein.
Übungsaufgabe:
Du möchtest üben? Wähle einen der folgenden drei Sätze. Nimm dir fünf Minuten (schau auf die Uhr!) und wandle die Behauptungen in anschauliche Szenen um. Du kannst das Ergebnis posten, wenn du magst.
- In meinem Zimmer herrscht Chaos.
- Das Essen auf der Party gestern war unglaublich!
- Der Redner hat alle Blicke auf sich gezogen. (Fürchterlicher Satz, wie er dort steht, eine klischeeartige Redewendung inklusive!)
Wenn du Lust auf mehr Übungen dieser Art hast, verbessere gerne deinen Schreibstil in meinem kostenlosen Videokurs!
[…] Ausdrucksstarke Verben wie flüstern, keifen, fauchen etc., lenken die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, aber nicht, was gesagt wird. Besser ist es, wenn man anhand des Gesagten versteht, ob eine Figur gerade schreit, wimmert oder keift. Ersetze die ›Regieanweisung‹ lieber mit sagte oder fragte. Auf diese Weise hältst du dich auch an das oft gepredigte Prinzip von Show, don’t Tell. […]