Wie entwickele ich einen Plot und welche Methoden gibt es?
Plotten ist für die meisten Autoren, gerade am Anfang, eine große Herausforderung. Mit Plotten meine ich in diesem Artikel die Abfolge von Geschehnissen innerhalb einer Geschichte. Diese Abfolge sollte vor allem sinnvoll sein und eine logisch zusammenhängende Handlung ergeben. Ich verwende hier den englischsprachigen Ausdruck, weil die meisten Personen, die beruflich über Geschichten sprechen, nicht von Handlung, sondern von Plot sprechen. Das gilt im Zusammenhang mit Drehbüchern und „normalen“ Romanen gleichermaßen.
Es gibt auch „natürliche“ Plotter. Ihnen fällt es von Anfang an leicht, eine Handlung zu entwerfen, die Leser fasziniert und mit dem Gefühl zurücklässt, eine echte Geschichte gelesen oder gesehen zu haben. Ich würde allerdings behaupten, dass dies eher die Ausnahme ist.
Falls du den Beatsheet von Blake Snyder herunterladen möchtest, findest du ihn hier:
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Wir verstehen die Struktur von Geschichten intuitiv
Wir alle wachsen mit Geschichten auf. Sie werden uns erzählt, wir lesen sie oder sehen sie als Film. Dadurch haben wir ein natürliches Verständnis davon, was eine Geschichte ist und was nicht. Wir wissen intuitiv, dass der Satz: „Gestern war ich Abendessen“ keine Geschichte ist. Der Satz „Beim Abendessen hat meine Mutter erklärt, dass sie meinen Onkel heiraten möchte“, aber der Anfang einer Geschichte sein könnte.
Unser Bauchgefühl sagt uns also, wenn etwas fehlt oder sogar kein Ende vorhanden ist. Wir merken, wenn die Handlung – besonders anfällig ist dafür die Mitte – langweilig wird. Im schlimmsten Fall lässt sie uns als Leser unbeteiligt zurück, gleichgültig das Buch aus der Hand legen oder den Fernseher (PC, AppleTV, Firestick, puh, es gibt so viele!) ausschalten.
Geschichten werden seit Tausenden von Jahren erzählt. Sie liegen uns einfach im Blut. Wir sind ein „Storytelling Animal“, wie Jonathan Gottschall es nennt. Geschichten wurden schon immer erzählt, um Wissen weiterzugeben, um Handlungsanweisungen zu geben oder um die Welt verstehbar zu machen. Ohne sie hätten wir viele Geschehnisse nicht in Erinnerung behalten in einer Kultur, in der kaum jemand schreiben konnte. Kaum vorstellbar.
Was aber ist eine gute Geschichte?
Eine gute Geschichte fesselt uns. Wir wollen unbedingt wissen, wie es weitergeht. Aber genauso, wie wir leicht entscheiden können, ob uns ein Gericht gut schmeckt oder nicht, ist es wesentlich schwieriger, eins nachzukochen. Ähnlich ist es auch beim Entwickeln eines Plots. Wir wissen zwar, was uns gefällt. Wollen wir aber selbst eine packende Geschichte entwerfen, ist das plötzlich viel schwieriger.
Mit diesem Problem stehen wir nicht allein da. Und genau deshalb haben sich glücklicherweise schon einige intelligente Menschen Gedanken darüber gemacht, wie es zu lösen ist. Dabei sind zum Teil praktische Handlungsanleitungen entstanden, um einen guten Plot zu entwerfen. In dieser Artikelserie möchte ich euch einige davon vorstellen.
Geschichten folgen einer gewissen Struktur. Das wissen wir jetzt. Denn viele Leute haben unzählige Geschichten analysiert. Zu ihnen gehört auch Christopher Vogler, der Joseph Campbells The Hero with a Thousand Faces folgend, die Heldenreise analysiert hat, eine der Urerzählungen, die es in der westlichen Welt gibt. Daraus hat Vogler dann The Writer’s Journey entwickelt. Dieses Buch beeinflusst seit Generationen Autoren. Sowohl Star Wars als auch Harry Potter folgen der Struktur von The Writer’s Journey geradezu lehrbuchmäßig, ohne dass die Autoren sich unbedingt bewusst an diese Strukturen gehalten haben.
Sind dann nicht alle Geschichten gleich?
Der typische Einwand an dieser Stelle: Wenn ich also eine Art Formel verwende, um einen Plot zu entwerfen, ähneln sich dann nicht alle Geschichten? Die Antwort ist ein entschiedenes Jein!
Es geht hier um Tiefenstrukturen. Und die liegen so weit unter der Oberfläche, dass trotz gleicher Struktur völlig unterschiedliche Geschichten entstehen können. Auch wenn du aus diesem Grund immer noch skeptisch bist, rate ich dir trotzdem, eine dieser Herangehensweisen auszuprobieren, um deinen „ersten” Roman zu plotten. Du kannst dich ja immer noch von diesem Plot lösen, falls du später glaubst, dass das nichts für dich ist. Und natürlich wird trotz dieser Strukturen zum Teil langweilig formelhaft geschrieben, keine Frage. Aber das sind eben die missglückten Beispiele. Letztlich können wir aber auch aus ihnen lernen.
Die Buchbranche kennt die Plotstrukturen
Die klassischen Plotstrukturen zu kennen, hat viele Vorteile. So helfen sie uns etwa auch zu verstehen, wie die „Branche“ denkt: die Leser, die Lektoren, die Buchmenschen und die Filmmenschen. Vielleicht hassen einige den Hollywood-Plot (denn Hollywood arbeitet in dieser Hinsicht extrem strukturell) aus tiefstem Herzen. Dennoch verstehen Menschen, die sich beruflich erfolgreich mit Geschichten beschäftigen, Plotstrukturen und wissen meist ziemlich genau, wie Hollywood arbeitet. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr viel mit Plot beschäftigt und dabei viele hilfreiche und spannende Erkenntnisse gewonnen.
Eines bleibt dadurch allerdings nicht aus: Ich nehme inzwischen geradezu zwanghaft jeden einzelnen Film auseinander, den ich sehe und murmele: Da ist das Thema! Mentor! Fun und Games! Whiff of Death! beim Zuschauen (die typischen Begriffe von Snyder). Das kann andere verrückt machen.
Modelle, um Plot zu verstehen
Es gibt verschiedene „populäre“ Methoden, um Plot zu verstehen und um selbst einen Plot zu entwickeln. Dazu gehört
- The Writer’s Journey von Christopher Vogler, die sogenannte Heldenreise,
- die Snowflake Methode von Randy Ingermanson oder auch
- John Trubys The Anatomy of Story: 22 Steps to Becoming a Master Storyteller
… und noch einige mehr.
Die drei obigen Methoden werde ich in späteren Artikeln genauer vorstellen. Den Anfang mache ich in diesem ersten Artikel allerdings mit der Methode von Blake Snyder. Zum Abschluss der Artikelserie erkläre ich euch dann noch meine eigene Methode zum Plotten. Also viel Spaß mit eurem Plot!
Plotten mit Blake Snyder
Als erstes stelle ich die Plotmethode von Blake Snyder vor, einem erfolgreichen Drehbuchautor. Blake Snyders Buch Save the Cat, Deutsch: Rettet die Katze (glücklicherweise vom großartigen Autorenhaus Verlag übersetzt und meine Leseempfehlung), ist in Hollywood für viele Menschen eine Art Bibel. Ich möchte dir helfen, die Genialität seines Ansatzes zu verstehen. Mein Artikel ersetzt aber nicht das Buch! Schaue dir auch diese Webseite an. Dort gibt es inzwischen auch Artikel und Erfahrungsberichte von Schriftstellern, die mit der Methode erfolgreich Romane geschrieben haben.
Es geht bei Blake um die Vorgehensweise beim Plotten, aber vor allem um die notwendigen Plotelemente einer Geschichte. Du kannst deine Romanhandlung anhand von seinen Kriterien prüfen: Besitzt die Handlung diese Bestandteile, diese Storybeats? Zudem ist er unglaublich pragmatisch und schreibt sehr unterhaltsam. Er ist ein witziger und vor allem motivierender Autor. Denn er weiß genau, wie unglaublich verzweifelt man gelegentlich vor einem Haufen Indexkarten mit großartigen Szenen sitzt, die sich partout nicht in ein harmonisches Ganzes fügen wollen.
Der Plotvorgang von Blake:
1. Logline entwickeln
Damit meint Blake die Zusammenfassung der gesamten Geschichte in einem Satz. Ein sehr übliches Vorgehen beim Film. Dabei entstehen Sätze wie:
- Ein frisch angestellter Mitarbeiter geht auf ein Firmen-Retreat und merkt schnell, dass jemand versucht, ihn umzubringen (The Retreat).
- Ein frisch verheiratetes Paar muss den Weihnachtstag damit verbringen, jeden der vier geschiedenen Elternteile zu besuchen. (4 Christmases. Deutsch: Mein Schatz, meine Familie und ich).
Für ihn dabei entscheidend: ein interessantes mentales Bild und die sofortige Klarheit, für wen die Geschichte geeignet ist (Alter/Genre). Hinzu kommt eine leichte Ironie oder Humor im Titel, z.B. „Legally Blonde“. Die Logline erzählt in diesem einen Satz die Geschichte der Hauptfigur oder der Hauptfiguren und beantwortet die wesentlichen Fragen. Wer ist es? Wogegen kämpft er? Was hat sie zu verlieren?
2. Welches Genre
Blake Snyder entwirft in seinem Buch „Ur-Plots“, in die er alle Geschichten eingliedern kann. Er hat dafür Kategorien entwickelt, die ganz anders sind als die Kategorien Liebesfilm oder Horrorfilm (oder die entsprechenden Romane). Seine Kategorien gehen viel tiefer und betrachten dabei die Probleme und Beziehungen der Handelnden. Darauf gehe ich hier nicht weiter ein. Das könnt ihr alles im Buch Save the Cat, auf Deutsch Rettet die Katze, und insbesondere in der Fortsetzung Save the Cat! Goes to the Movies nachlesen. Diese Genre-Unterscheidungen sind aber hilfreich beim Herausfinden, welche Bestandteile einer Geschichte von der Leserschaft je Genre erwartet werden. Dir sollte klar sein, wo du dein Buch auf dem Buchmarkt einordnen kannst. Sonst sabotierst du dich von vornherein selbst. Sieh dir dazu meinen Artikel über Genre an.
3. Hauptperson
Deine Hauptperson sollte perfekt für deinen Plot geeignet sein, das bedeutet:
- Sie wird durch die Handlung herausgefordert und steht mir ihr im größtmöglichen Konflikt,
- muss möglichst weit über sich hinauswachsen und
- sie sollte demographisch dem Genre entsprechen. Ist euch aufgefallen, dass Hauptfiguren in Jugendromanen häufig siebzehn sind? Das ist KEIN Zufall.
4. Plotte deine Geschichte nach Blakes Beat Sheet
Ich behalte auch hier das englische Wort bei. Denn Drehbuchautoren reden ständig von Story Beats, egal welche Muttersprache sie haben. Nach diesem Model benötigt man im Schnitt 40 Szenen für einen 90minütigen Film. Die Anzahl der Szenen kannst du für dich beibehalten. Das macht es einfacher.
Wenn du dich also fühlst wie auf einem sinkenden Plot-Schiff: Hier findest du etwas zum Festklammern.
Blake unterteilt in seinem Beat Sheet jede Geschichte in 15 Beats. Im Film werden sie häufiger Story Beats genannt. Wer schon immer verwirrt auf die klassische Drei-Akt-Struktur geschaut hat, um dann festzustellen: Das hilft mir jetzt gerade überhaupt nicht weiter. Was passiert denn da genau in der Mitte? Der kann sich freuen. Blake Snyder hilft da sehr konkret weiter.
Du findest mit dem Beat Sheet eine Übersicht über die Struktur einer Geschichte. Ich verwende seine Original Titel für die einzelnen Beats und erkläre auf Deutsch. Um dir ein Gefühl zu geben, wie lang und wo jeder Storybeat auftaucht, ergänze ich das ganze um eine Seitenzahl. Bei Blake bezieht sich die Zahl auf ein Drehbuch der Standardlänge von 120 Seiten. Ich beziehe mich bei meinen Zahlen auf eine typische Romanlänge von 220 Seiten (Normseite: 1800 Anschläge pro Seite). Natürlich gibt es Bücher, die viel länger sind. Dann verschieben sich natürlich die angegebenen Seiten. Aber so kannst du einen Eindruck gewinnen, wann welcher Storybeat in Relation zum Rest ungefähr passiert.
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Wie arbeitest du mit den Beats?
Du kannst jetzt deine Szenen in diese Struktur einbringen und hast einen sehr genauen Plan! Blake empfiehlt weiter, das ganze an eine Pinnwand zu hängen. Dort ordnest du dann die einzelnen Szenen den Abschnitten zu. So hast du den Plot immer vor Augen.
Du hast nicht genug Szenen? Genau das ist ein Vorteil des Beat Sheet. Du siehst, wo Szenen fehlen und kannst entsprechend neue entwickeln. Entscheidend sind dabei natürlich die Szenen, welche die größten Wendepunkte markieren. Hast du die schon? Ich persönlich plotte nicht 40 Szenen, sondern nur die entscheidenden. Das reicht mir, um immer zu wissen, worauf ich hinschreibe.
Ich denke, Blake Snyder hat mit dem Beat Sheet ein fantastisches Grundgerüst entworfen, an dem du dich orientieren (oder festklammern!) kannst. In den nächsten Artikeln schauen wir weitere Gerüste an. Meine eigene derzeitige Methode, die sich ja auch ständig ein wenig im Wandel befindet, werde ich euch auch noch erklären.
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Wie plottest du deine Romane? Benutzt du bestimmte Methoden? Ich freue mich über Kommentare. .-)
Wolfram Klingsor
Vielen Dank für diese interessante Einführung. Bin gespannt, wie’s weiter geht. Ich habe bisher frei weg von der Leber geschrieben, ohne irgendwelchen theoretischen Hintergründe und meine Geschichten haben sich aus sich selbst heraus entwickelt. Dass meine Ebooks sich überhaupt verkauft hatten (ohne Marketing) war für mich die größte Überraschung. Allerdings gehen die Verkäufe in letzter Zeit stark zurück. Eigentlich möchte ich allmählich wieder etwas Neues in Angriff nehmen, aber mir fehlt gerade die Inspiration für ein Thema, das mich wirklich packt. Ansonsten lasse ich lieber die Finger davon. Wenn ich einen neuen Roman in Angriff nehme, werde ich Deine Anregungen aber sicherlich beherzigen. Vielleicht könnte ich ja auch das, was ich bisher geschrieben habe, auf die geschilderte Plot-Struktur hin überprüfen. Mal sehen. Beste Grüße, Wolfram
Julia Stein
Hallo lieber Wolfram! Danke für deinen Kommentar. Schön, dass dir der Artikel gefallen hat. Ja, natürlich, wenn man so eine Struktur nicht braucht, weil es gerade so fluppt, dann kann man auch gar nicht darüber nachdenken, sondern einfach alles rauslassen. Und so wie es bei dir beim letzten Mal geklappt hat, klingt es doch wunderbar.
Nur wenn man hängen bleibt, und den Wurm einfach nicht findet, der darin ist, dann ist eine Struktur hilfreich und kann einen aus dem Loch holen .-). Herzlichen Glückwunsch zu deinem tollen bisherigen Erfolg!
Kirks Let´s Plays
Ich selber schreibe ja Star Trek FanFiction, bei meinen ersten fünf Geschichten war es so das ich nur mit Mühe und Not über 2.000 Worte gekommen bin, und das obwohl sich der Plot über mehrer Wochen erstreckte.
Mittlerweile Plote ich nach der Schneeflockenmethode und meine aktuelle Geschichte ist schon bei über 16.000 Wörtern obwohl ich erst im 5. von 13 Kapiteln bin. Alleine die Szene die ich aktuell schreibe hat mit über 2.200 Wörtern schon eine länge die über der gesamtlänge meiner ersten Geschichte liegt…
Man kann also sagen Plotten lohnt sich.
Julia Stein
Danke für den Kommentar und das Teilen deiner Erfahrung. Das hört sich doch gut an .-)