Die Hauptfigur muss sympathisch sein! Das habe ich, als ich angefangen habe zu schreiben, immer wieder zu hören bekommen. Und auch immer noch ist das in vielen Genre, insbesondere in romantischen Komödien, Frauenromanen oder Jugendromanen eine oft von Verlagen geforderte Eigenschaft. Aber nicht nur da.
Auch Hollywood setzt häufig darauf, dass die Hauptfigur die Sympathien des Lesers gewinnnen muss. Das Buch von Blake Snyder über Plot, auf dessen sehr hilfreiche Methoden ich in diesem Artikel eingehe, ist sogar nach dieser entscheidenden Szene benannt „Save the Cat“. (Hier findest du Blake Snyders Beatsheets als Plot-Vorlage in der Download-Bibliothek.) Snyder wirft zum Beispiel insbesondere den Lara Croft Filmen vor, dass sie wesentlich weniger erfolgreich wurden als erwartet, weil ein entscheidender Teil fehlt: Die Hauptfigur ist nicht sympathisch. Sie bleibt kühl und unnahbar.
Ich habe die Autorin Anke Maiberg gefragt, wie sie es in ihrem Buch geschafft hat, die Hauptfiguren sympathisch zu machen und sie hat verraten, dass sie auch eine ganz deutliche Save the Cat Szene in ihrem Buch hat. Hier ist ihr Artikel dazu. Interessant, wie sie hier selbst einmal ganz analytisch an ihre unterhaltsame Zwillingskommödie „Vorübergehend verschossen“ herangeht.
Die Katzenrettungsszene in „Vorübergehend verschossen“
„Vorübergehend verschossen“ ist eine Geschichte aus mehreren Perspektiven, in der die Braut mit dem falschen Zwillingsbruder vor den Altar tritt. Kern der Geschichte ist, dass der Bruder eigentlich nur für den Zwilling einspringt, weil der in Las Vegas versumpft ist. Aber dann verliebt er sich in die Braut und der Leser merkt nach und nach, dass er auch viel besser zu ihr passt.
Ein ganz entscheidender Moment ist der, in dem der Zwillingsbruder Felix den Anruf bekommt, dass er einspringen muss. (S. 24). Hier geht die Geschichte richtig los. Und: als Autorin stehe ich hier vor einer Herausforderung. Das Buch ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben, die abschnittsweise wechseln. Hauptfigur – es ist schließlich ein Frauenroman, und Hauptfigur ist immer die weibliche Protagonistin – ist die Braut. Deshalb ist alles, was bis hierhin geschah auch aus ihrer Perspektive geschildert. Nelli freut sich auf ihre Hochzeit mit Tim. Den hält man bis hierhin deshalb auch für die männliche Hauptfigur. Über den Zwillingsbruder hat Nelli zwar auch mal geredet, aber nur so nebenbei. Und das auch noch schlecht. Nellis Haupt-Charaktereigenschaft ist nämlich, dass sie auf Treue und Verlässlichkeit schwört. Sie warnt deshalb ihre Freundinnen vor Felix, denn der ist ein schlimmer Frauenheld.
Wenn ein Frauenheld sympathisch sein muss
Jetzt kommt also die Szene, in der Felix richtig ins Spiel kommt, und die Geschichte nimmt eine Wendung: Entgegen der Erwartungen der Leserin wird Felix plötzlich wichtig. Felix, über den man als Leserin bislang nicht gerade gut zu denken gelernt hat. Alarm für die Autorin: das muss sich jetzt ändern! Wenn er Hauptfigur wird, muss er dringend sympathisch sein! Die Leserin muss jetzt also anders über Felix zu denken beginnen als Nelli. Sie muss lange vor Nelli wissen, dass Felix das Zeug zum romantischen Helden hat.
Felix ist ja auch toll. Dass er ein Frauenheld ist, ist nur Felix‘ Macke, die er im Laufe des Buches überwinden wird. Ansonsten ist er ein total toller Kerl. Aber das kann ich hier nicht langatmig zeigen, denn wo sind wir in der Story? Im Setup. Die Leserin will nach wie vor nichts anderes, als endlich die Hochzeit zu lesen. Seit Seite 1 bereitet sich die Braut darauf vor und Nelli sollte tunlichst endlich vor dem Altar stehen, damit auch aus der Perspektive der Protagonistin die Story richtig los geht. (Beat Sheet: Auslösender Moment ist der, in dem Nelli mit dem veränderten Bräutigam ins Trauungszimmer geht, S. 31)
Als Autorin hatte ich also an dieser Stelle die Aufgabe, Felix liebenswert zu machen, ohne viele Worte zu verlieren. Wie macht man das?
Mit der Katzenrettungsszene!
Autoren wissen: Das beste Mittel, eine Figur unauffällig und im Vorbeigehen als guten Menschen zu charakterisieren ist es, sie eine Katze retten zu lassen. Also, es muss nicht unbedingt eine Katze sein. Wichtig ist nur: etwas, das es wert ist, gerettet zu werden. Gerne auch ein Baby. Hauptsache hilfsbedürftig. Klein und flauschig ist immer gut.
Ich habe Felix, während er den „Du musst für mich heiraten“-Anruf bekommt, ein Lämmchen retten lassen!
Felix befreit ein kleines hilfloses Lamm, das sich verheddert hat. Das transportiert: er hat ein gutes Herz. Das klingt banal. Ist es auch. Alle, die diesen Trick kennen, schreien im Kino und vor dem Fernseher bei jedem zweiten Film „Katzenrettungsszene!“, weil das so oft genutzt wird. Aber: wer es nicht weiß, dem fällt es nicht auf. Denn es läuft nur so nebenbei, während im Vordergrund die Haupthandlung passiert (bei mir: das Telefonat, dass er einspringen muss). Ohne ein einziges beschreibendes Wort wird Felix nebenbei als lieber Typ gezeichnet. Wahnsinnig effektiv!
Katzenrettungsszene und Anker
Nebenbemerkung: die Szene transportiert noch mehr. Ich habe sie auch noch benutzt, um einen Anker zu setzen [Funktion des Setups: Pflöcke einschlagen, auf die man sich später zurückbeziehen kann!], der mir am zentralen Punkt der Geschichte einen Wiedererkennungs-Effekt beschert. In der Rettungsszene beruhigt Felix – der nicht weiß, wie man mit Tieren umgeht – das Lämmchen mit einem säuselnden Spruch, der jedenfalls bei Frauen immer zieht. Am zentralen Punkt (tatsächlich! Mein zentraler Punkt ist total zentral! S. 157 von 317!), an dem Felix merkt, dass er Nelli liebt, begegnet uns der Spruch noch mal. Felix schießt sein alter Anmachspruch durch den Kopf und er realisiert, wie doof der in Wahrheit ist. Denn jetzt erkennt er, dass er in Wahrheit doch nicht nur oberflächliche Flirts braucht, sondern die wahre Liebe …
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